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Titel
Seeberg Burgäschisee-Süd. Teil 2, Bauten und Siedlungsgeschichte


Autor(en)
Müller-Beck, Hansjürgen
Reihe
Acta Bernensia 2
Erschienen
Bern 2008: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
178 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Niffeler

Bereits in den 1950er-Jahren wurde am Burgäschisee eine cortaillodzeitliche Siedlung fast vollständig freigelegt, die einige wenige Häuser umfasste und kaum länger als etwa ein halbes Jahrhundert bewohnt war. Ab den 1960er-Jahren erschienen pro Jahrzehnt zwei Bände mit Auswertungen zu Teilbereichen, zudem Aufsätze verstreut in verschiedenen Organen (u.a. Festschrift für H.R. Stampfli; Jahrbuch des Oberaargaus 1994). Allein diese Aufzählung macht die Ambivalenz des nun vorgelegten Bandes deutlich: Zum einen ist dem Hauptautor sehr zu danken, dass er es nach so langer Zeit auf sich genommen hat, den Befund- und damit den Schlüsselband zu schreiben. Andererseits sind die Ergebnisse notwendigerweise von der Grabungstechnik der 1950er-Jahre bestimmt. Hinzu kommen Schwierigkeiten wie etwa der Verlust der Dendroproben. Entsprechend sind die Resultate. Ob es also sinnvoll ist, das vom Hauptautor mit grosser Regelmässigkeit geforderte, gut vorbereitete Abschlusssymposium durchzuführen, ist zumindest zweifelhaft — es sei denn, dessen Thematik ist das Cortaillod allgemein, und Burgäschisee-Süd darin eine Episode.

Der erste Teil des Bandes ist der Rekonstruktion der Bauwerke der Siedlung gewidmet: Gebäude, Befestigung und Prügelwege. Eine grundsätzliche Schwierigkeit ist bereits genannt: Der Hauptteil der Dendroproben ging unbearbeitet verloren. Der Autor stand also vor der Schwierigkeit, die Hausgrundrisse allein über eine plausibel erscheinende Interpretation des Gewirrs an Pfählen bewerkstelligen zu müssen. Ein zweites Problem resultiert aus dem Abgleiten der Straten, welches die Pfosten abkippen liess (s. dazu S. 12f. Abb. 3, in der allerdings rätselhaft bleibt, weshalb die Spitzen der wiederaufgerichteten Pfähle weiter links stehen als jene der schief gedrückten, obwohl die Schichten, ihrem Verlauf nach zu urteilen, nach links gleiten müssten). Der Autor beginnt mit seiner Rekonstruktionsarbeit am Westende der Siedlungsfläche. Hier macht er eine, grob gesagt, West-Ost ausgerichtete Reihe von Pfählen aus, die in einer Linie stehen und an die im Norden und Süden je etwa gleich breite Streifen anschliessen, die weitgehend frei von weiteren Pfählen sind — mit Ausnahmen, auf die noch zurückzukommen sein wird. Diese Flächen werden im Norden und Süden wiederum von Pfostenreihen abgeschlossen. Müller-Beck interpretiert die mittlere Serie als Firstpfosten, die beiden äusseren als Teile der Hauswand. Seine Deutung ist überzeugend, umso mehr, als die Fläche weitestgehend mit der Ausdehnung einer Lehmlinse — faktisch: eines Lehmbodens — mit mehreren Feuerstellenresten übereinstimmt (Haus A). Weniger eindeutig scheint allerdings die Ostwand: Eine westlichste, vom Autor aber nicht einbezogene Linie verläuft praktisch in der Hausmitte; zur nach Osten folgenden, als Wandstellung interpretierten, existiert etwa einen halben Meter weiter östlich eine nächste, ebenfalls nicht einbezogene. Immerhin: Der Hausplatz A überzeugt als Rest eines Gebäudes, das gleich ausgerichtet ist wie die Gesamtsiedlung.

Weit weniger deutlich ist der Befund in dem Bereich, den Müller-Beck zum Grundriss des Hauses B interpretiert. Noch hypothetischer ist das postulierte Haus C: es ist «… weniger gut abgesichert …» und erklärt sich «… vor allem aus der Rekonstruktion der dortigen Pfahlfluchten …» (S. 27). Das Gebäude wäre, folgte man dem Autor, gleich ausgerichtet wie die beiden anderen. Allerdings machen einige Beobachtungen stutzig: Als erstes fällt auf, dass der angebliche Hausplatz C drei Lehmlinsen sowie zwei lehmfreie Streifen dazwischen umfasst — aber nur teilweise; umgekehrt setzen sich die Lehmlinsen über die «Nordwand» des Gebäudes hinaus fort und weisen dort sogar Feuerstellen auf. Sodann bleibt eine vierte, zu den erwähnten drei parallele Lehmlinse ausserhalb des «Hausplatzes» ungedeutet und nicht einbezogen, dies, obwohl man namentlich die postulierte Südwand problemlos hätte verlängern können. Und schliesslich deuten sich bei zwei der drei Lehmlinsen von «Hausplatz C» in der Mitte Pfahlreihen an, die an die Firstpfostenserie von Hausplan A erinnern. Anders gesagt: Müller-Becks Zusammenzug zu einem Hausplatz mit Vorplätzen — diese mit Lehmboden — ist ausgesprochen wenig überzeugend. Vielmehr dürfte es sich — wenn man der Methodik des Autors folgt — um mindestens drei Gebäude handeln, die allerdings im rechten Winkel zu den Gebäuden A und B stehen (was als Möglichkeit S. 40 angelegt ist: «… vier Wohnbereiche auf dem Hausplatz C …»). Die uneinheitliche Ausrichtung mag zunächst erstaunen; in Egolzwil 4, Dorf 5, einer ebenfalls Cortaillod-zeitlichen Anlage, findet sie sich jedoch wieder (SPM II, 209, Abb. 132,3).

Die verbleibenden Lehmlinsen schliesslich deutet der Autor unterschiedlich: Die nahezu quadratische Lehmlinse 10 etwa bezeichnet er S. 22 als «… eigenständigen und wohl überdachten Arbeitsplatz …», woraus auf S. 169 «… vielleicht auch ein kleiner Ritualbau …» (mit Zwischenstufe «nicht auszuschliessen», S. 153) wird. Die beiden ganz im Nordosten gelegenen Linsen 14 und 15 mit Feuerstelle interpretiert Müller-Beck als Teile einer «… kommunale[n] ‹Fest›-Feuerstelle … an denen eine grössere Zahl von Nutzern gemeinsam … gebraten, gekocht und gegessen hat …». Bemerkenswert ist die Lage der beiden Relikte: Linse 14 (mit Feuerstelle) befindet sich auf der Verlängerung der östlichen Befestigung, Linse 15 sogar ausserhalb. Die Begrenzung der Siedlung war «… dort nicht sicher zu fassen …» (S. 125). Wie aber hat man den Befund zu interpretieren: als Hinweis auf Zweiphasigkeit? als Lücke in der sonst doch so aufwendig gestalteten Befestigung? daran anschliessend: wie wäre eine solche lückenhafte Anlage zu deuten?

Sodann widmet sich der Autor der Rekonstruktion des Aufgehenden. Dabei leitet er zunächst den First «… aus der örtlichen Tradition der historischen Bauernhäuser im Berner Mittelland … » ab (S. 30), eine Anregung, die auch beim tief herabgezogenen Dach Pate stand (und die zudem zur Deutung der drei als Arbeitsbereiche gedeuteten Lehmlinsenteile nördlich von «Haus C» dient, S. 153). Schliesslich resultiert im Fall von Haus A ein zweijochiges Haus, dessen Walmdach den Vorplatz ebenfalls überdeckt und innerhalb dessen Müller-Beck für bestimmte Hausteile Funktionen vorschlägt (schlafen, Vorratshaltung, Getreide mahlen).

Othmar Weys immerhin 59 Seiten und damit etwa einen Drittel des Bandes umfassender Beitrag hat die 1957 und 1958 geborgene Keramik der Siedlung innerhalb der Befestigung zum Inhalt. Da er nicht — wie Dubuis im Burgäschisee-Band von 1988 — allein die ergänzte Keramik, sondern die gesamte Tonware untersucht, dies zudem mit dem heute üblichen Methodenensemble, gelingt es ihm, das bisherige Bild zu korrigieren und zu präzisieren: Insbesondere zeigt sich, dass die Siedlung Burgäschisee-Süd parallel zur Schlussphase des unteren Schichtpakets von Twann beginnt und bis in den Beginn des Ensembles 3 des dortigen mittleren Schichtpakets reicht. Ob die uneinheitlichen Wandstärken in den Ensembles von Burgäschisee-Süd als chronologisches Indiz zu deuten sind, bleibe dahingestellt; die Siedlung war maximal ein halbes Jahrhundert bewohnt — reicht diese Zeit für Veränderungen oder sind die Unterschiede durch unterschiedliche Töpferhände zu erklären?

Der Abschnitt «Siedlungsgeschichte» beginnt (S. 107–121) mit Überlegungen zu Schichtgenese und zur Ausgrabungs- und Dokumentationsstrategie. Es schliessen sich Ausführungen an, zunächst zu den Pfählen, Lehmlinsen und Feuerstellen (S. 122–139), danach zur Gesamtkubatur der Kulturschicht und der darin enthaltenen Fundobjekte sowie Tierreste (S. 130–147). Gerade die Abschnitte über die faunistischen Reste (S. 143–147) zeigen die Grenzen der Interpretationsmöglichkeiten auf: Der Autor errechnet zunächst auf der Basis von Annahmen zur Erhaltung die Mindestindividuenzahl der erlegten resp. geschlachteten Wild- und Haustiere. Die so erarbeitete Menge verwendet er im Abschnitt «Wertung der Ergebnisse» zur Ermittlung der während der Siedlungszeit verfügbaren Gesamtfleischmenge, stellt ihnen aber ein anderes Modell gegenüber (S. 166: Schwund von 98,5% nach H.R. Stampfli), woraus eine doppelt so grosse Fleischmenge resultiert. Nichts desto trotz setzt er die Fleischmenge mit der Siedlungsdauer in Beziehung, die er mit 30–60 Jahren ansetzt, sowie mit der vermuteten Bewohnerzahl (20–40, zeitweise mehr) — insgesamt also dreimal eine bestimmte Zahl und ihren doppelten Wert. Über ein jährliches Bevölkerungswachstum von 0,5‰ komme man auf die von Caesar angeführte Zahl von 260 000 Helvetiern, womit die Bewohner von Burgäschisee-Süd «… tatsächlich in einer Kontinuität stehen, die mindestens bis in die Zeit der Helvetier heranreicht, mit einiger Wahrscheinlichkeit … darüber hinaus. » (S. 167).

Der Band ist im Gegensatz zu den Hardcover-Vorgängern broschiert. Die Lektüre des Textes macht wenig Mühe, sieht man von Ausdrücken wie «… diagenetische Stabilität» (S. 177) ab, die selbst mit archäologischem Vorwissen unverständlich sind, oder von in sich inkohärenten bis widerprüchlichen Sätzen wie «… ergibt sich eindeutig, dass die … Tierreste eher einen sehr geringen oder nur sehr schwer abschätzbaren Teil …» (S. 166). Unschön auch, dass die Abbildungsnummerierung bei jedem Teil wieder mit «1» beginnt. Bei den Beilagen — insbesondere in Gesamtplan Beil. D, der Basis für die Diskussion der Hausstandorte — bedauert man das Fehlen von Signaturenauflösungen; auch ein Nordpfeil wäre willkommen.

Zitierweise:
Urs Niffeler: Rezension zu: Hansjürgen Müller-Beck, mit einem Beitrag von Othmar Wey, Seeberg, Burgäschisee-Süd. Teil 2, Bauten und Siedlungsgeschichte. Acta Bernensia II, Teil 2. Bern 2008. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 94, 2011, S. 305-306

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 94, 2011, S. 305-306

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